06.03.2015 im Landhaus Tirol
Der Tiroler Landesverband der Gehörlosenvereine (TLVG) hat eine Fachtagung zum Thema „bimodale / bilinguale Kommunikationsförderung - Echte Chance für Inklusion gehörloser und hörbehinderter Menschen?“ veranstaltet und präsentierte sehr interessante Vorträge von Experten aus Österreich und Deutschland.
Die Veranstaltung wurde barrierefrei sowohl in Gebärdensprache, Lautsprache als auch in Schriftdolmetschung, bei freiem Eintritt angeboten.
BIMOLI Fachtagung im Landhaus Tirol – Eine Nachbetrachtung
geschrieben von Sebastian Fehr
Gut gefüllt war am 06.03.2015 der große Saal des Landhauses an einem sehr sonnigen Freitagnachmittag. Die BIMOLI Fachtagung, welche vom TGLV in Kooperation mit SignTirol sowie dem Land Tirol organisiert wurde, bot ein interessantes und abwechslungsreiches Programm an Vortragende auf. Dabei wurden aktuelle wissenschaftliche Forschungsergebnisse, praxisbezogene Erfahrungsberichte, und die gegenwärtigen Missstände in Tirol rund um die Thematik bimodale/bilinguale Kommunikationsförderung Fachtagungsteilnehmern präsentiert. Der einstimmige Tenor der Veranstaltung: Die Gebärdensprache ist der Schlüssel zur Inklusion gehörloser u. hörbehinderter Menschen.
Doch nicht nur Vorträge waren zu hören: Die Firma SIGNTirol http://signtirol.com/home.html, die Beratungsstelle für Gehörlose in Tirol http://www.gehoerlos-tirol.at/beratungsstelle/, KommBi http://www.gehoerlos-tirol.at/kommbi/ sowie der Landesverband der Tiroler Gehörlosenvereine http://www.gehoerlos-tirol.at/lv2/index.html warteten allesamt mit Ständen und Informationsmaterial für Betroffene und Interessierte auf.
Erfreulicherweise waren unter den Tagungsteilnehmern nicht nur gehörlose bzw. hörbehinderte Menschen, sondern auch einige Vertreter des Landes Tirols, Pädagoginnen und Pädagogen sowie Studentinnen und Studenten der Pädagogischen Hochschule Tirol sind der Einladung gefolgt. Nach den Eröffnungsworten von Frau Monika Mück-Egg (Obfrau TGLV) und MMag. Andreas Reinelt (SignTirol) - den Veranstaltern der BIMOLI-Fachtagung - gab sich auch Fr. Landesrätin Dr. Christine Baur zu Begrüßungsworten die Ehre – leider musste diese die Veranstaltung aus terminlichen Gründen verlassen, ohne einen Vortrag erlebt zu haben.
Die erste Referentin war die Psychotherapeutin Dipl.-Päd. Sabine Egg, welche basierend auf ihre jahrelange Arbeit mit gehörlosen bzw. hörbehinderten Kindern und Jugendlichen ausführte, wie wichtig Kommunikation vor allem im frühkindlichen Alter ist. Gehörlose Kinder, welche keine Muttersprache von Beginn auf lernen, haben in ihrer weiteren Entwicklungsphase einen erheblichen Persönlichkeitsentwicklungs-Rückstand, welcher oft nur mehr schwer oder gar nicht mehr aufzuholen ist. Mentale Blockaden, Soziale Entfremdung, Angstzustände, Depressionen bis hin zum Selbstmord sind die möglichen Konsequenzen der nicht-stattfindenden der Kommunikation im Kleinkindalter. Dabei ist vor allem zu beachten, dass das von den Kliniken vielgepriesene und empfohlene CochleaImplantat mitsamt kostspieliger Operation am Schädel kein Allheilmittel ist sondern die Gebärdensprache mehr als nur eine empfehlenswerte Alternative ist. Leider gibt es in Tirol kaum Ressourcen im Bereich Gebärdensprache – das Fachpersonal (Dolmetscher, Gebärdensprachlehrer usw.) und finanzielle Mittel fehlen, außerdem ist die Sensibilisierung der Gesellschaft mit der Thematik unzureichend. Eine Einbindung der Gebärdensprache in der Pädagogischen Hochschule war vor Jahren angedacht, wurde aber nicht umgesetzt. Insgesamt gesehen hat Tirol großen Nachholbedarf im Bereich bimodale/bilinguale Kommunikationsförderung. Vor allem fehlt aber ein klares Bekenntnis der Politik und der Verantwortungsträger – tirol- als auch österreichweit.
Für einen praxisnahen Erlebnisbericht sorgte die gehörlose Karin Lang aus Wien. Sie erzählte Ihre Lebensgeschichte und welche Barrieren sie zu bekämpfen hatte, auf ihrem Weg, Kindergärtnerin zu werden. Danach stellte sie den Kindergarten und das Konzept dahinter vor, in welchem sie sowohl gehörlose, hörbehinderte als auch hörende Kinder betreut. Das mitgebrachte Bild- und Videomaterial zeugten von einer freudigen und harmonischen Kindergartengemeinschaft ohne Ausgrenzung. Der Kindergarten gilt als österreichweites Pilotprojekt. Frau Lang zeigte mit ihrem Vortrag auf, wie die Kindergartenbetreuung bei entsprechender Willenserklärung der Verantwortungsträger in Zukunft mit bimodaler u. bilingualer Kommunikationsförderung - auch in Tirol - aussehen könnte.
Ähnlich aufgebaut und sehr themenverwandt war der darauffolgende Vortrag der gehörlosen Sonderschullehrerin Dipl.-Päd. Astrid Weidinger. Auch sie berichtete über ihren Lebensweg, welcher von vielen Rückschlägen und Diskriminierung geprägt war. Und auch sie stellte ihre Schule vor, an welcher ebenso bilingualer Unterricht stattfindet.
Ein Highlight des Tages war sicher der Auftritt des einzigen gehörlosen Hochschulprofessors Europas, nämlich Prof. Dr. Christian Rathmann von der Universität Hamburg. Er referierte über die jüngsten Forschungsergebnisse über die Lesekompetenz von gehörlosen Menschen. Dabei wurden Personen, welche Gebärdensprache als Muttersprache erlernten verglichen mit Normalhörenden sowie Menschen, welche Gebärdensprache später erlernten. Erstaunlicherweise erzielten die Kinder mit der Gebärdensprache als Muttersprache durchschnittlich wesentlich bessere Ergebnisse als Personen, welche Gebärdensprache erst später erlernten. Die Kernaussagen des Vortrages von Prof. Dr. Rathmann waren, dass eine erheblich positive Wirkung auf die Entwicklung von Kindern in Sachen Wortschatz, Ausdruck usw. erzielbar ist, wenn die Gebärdensprache früh als Kommunikationsmittel eingesetzt wird. Dies sei wissenschaftlich erwiesen. Außerdem kann laut Prof. Dr. Rathmann die Inklusion gehörloser Menschen nur dann erfolgen und funktionieren, wenn die Gebärdensprache flächendeckend gelehrt und verbreitet wird.
Im Anschluss daran stellte Fr. Mag.a Dr.in Silvia Kramreiter, Projektleiterin der PLIG (Plattform Integration & Gebärdensprache in Wien) das Unterrichtsmodell „BilingualInklusiv-Mehrstufig“ – ein innovatives Unterrichtskonzept zur bilingualen Beschulung hörbeeinträchtigter Schüler/innen vor. Dabei wird grundsätzlich auf Frontalunterricht verzichtet, welcher für hörbeeinträchtigte Kinder nicht zumutbar ist. Außerdem wird mehr auf die Selbsterarbeitung und visuelle Medien gesetzt. Die Gebärdensprache ist ein Unterrichtsfach, welche alle Schüler absolvieren müssen. Genauere Informationen zu diesem tollen Modell finden Sie auf www.plig.at, welches sicher Zukunftspotenzial hat.
Abgerundet wurde die informative Veranstaltung dann noch von einer Podiumsdiskussion mit den Teilnehmern Roland Astl (Landeskoordinator für die päd. Beratungszentren), Mag. Margarete Taxer (Direktorin sozialpädagogisches Zentrum Mils), Prof. Dr. Christian Rathmann, Monika Mück-Egg (TGLV Obfrau), Mag.a Dr.in Silvia Kramreiter und Frank Dauer - ein betroffener Vater, der seine Ängste um die etwaige negative Entwicklung seines hörbehinderten Sohnes mit den Eintritt in die Schule der Runde schilderte. Diese Problematik wurde diskutiert und von Herrn Astl zur Kenntnis genommen und es gab Signale zur zukünftigen Gesprächsbereitschaft.
Auf etwaige, dringend notwendige Reformen im Schulbereich, welche den hörbehinderten bzw. gehörlosen Menschen in Tirol nachhaltig zugutekommen, wird man trotzdem wohl noch länger warten müssen.